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Lehrer aus Baden für die Kolonie

Versuche der deutschen Botschafter, einen Lehrer aus Baden in die Kolonie zu entsenden

Als gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in Venezuela die Schulpflicht eingeführt wurde, erhielt auch Tovar eine staatliche Schule. Es war die „Escuela Federal No 733“, die von dem Kolonisten Simon Müssle, der als Siebzehnjähriger aus Wyhl eingewandert war, aufgebaut und bis zu seinem Tod im Jahre 1897 geführt wurde.

Der erste offizielle Besucher des deutschen Reiches war der deutsche Gesandte von Bodmann. Er besuchte Tovar im Jahre 1895 und berichtete über eine Schule, in der Knaben und Mädchen getrennt unterrichtet worden seien. In den wenigen nocherhaltenen Schulberichten Simon Müssles sind jedoch über Jahre hinweg nur Knaben mit ihren Leistungen in den Fächern "Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion" aufgeführt. Von Bodmann schrieb nur wenige Zeilen über Schulprobleme in Tovar, denn sein Hauptanliegen war die Renaturalisierung der Auswanderer und Auswanderernachkommen, die seit 1873 venezolanische Ausweise erhalten hatten.

Anschließend an Simon Müssle erteilte für wenige Jahre der Pfarrer Schneider Deutschunterricht in der Colonia. Als der Geistliche 1902 starb, war die Schule wieder verwaist.

Erst die längeren Berichte von den mehrfachen Besuchen des deutschen Gesandten von Seckendorf wiesen auf das Fehlen eines deutschen Lehrers hin. Aufgrund seiner Bemühungen wurde dann auch in Baden nach einem geeigneten Kandidaten gesucht.


Er schrieb am 18.Februar 1907:

„Ein sehr bedauerlicher Umstand in Tovar ist das Fehlen eines deutschen Lehrers.... Gerade in diesem Punkte müßte der Lehrer natürlich ein aus dem Badischen Volk, wennmöglich aus dem südlichen Baden stammender katholischer Mann sein.“

Im Jahre 1907 meldete sich der Lehrer Bitzenhofer aus Buchern für die in Tovar ausgeschriebene Lehrerstelle.

Weiterhin meldete sich auch ein Lehrerehepaar, aber dies wurde 1908 abgelehnt mit der Begründung:

„ ... man solle kein Ehepaar engagieren, da dies zu teuer würde. Ein armer aus dem Kaiserstuhl stammender Seminarist, der in Tovar heiraten würde, wäre besser.“

Im Jahre 1909 wurde erneut Alfred Bitzenhofer empfohlen und es fanden bereits gehaltliche Absprachen statt. Bitzenhofer war damit einverstanden, jährlich 3600 Goldmark zu erhalten. Aber wiederum tauchte ein Hinderungsgrund auf. Die betagte Mutter Bitzenhofers erhob in einem Schreiben Einspruch, da ihr Sohn der einzige sei, der für sie sorgen könne, und man doch bis zu ihrem Tod ihn nicht ins Ausland schicken sollte.

Im Großherzogtum Baden suchte man indessen weiter nach einem Lehrer. In einem Schreiben vom 30. März 1909, das auch der deutsche Gesandte in Caracas erhielt, wurde ein Lehrer Gassermann benannt, der die Stelle wiederum mit dem Jahresgehalt von 3600 Goldmark antreten sollte.

Zu dieser Zeit amtierte Herr von Rhomberg in Caracas als deutscher Gesandter, Er besprach dies erfreuliche Ergebnis mit Wilhelm Ruh, dem Polizeichef und Friedensrichter von Tovar. Wilhelm Ruh, einem Sohn des aus Endingen stammenden Auswanderers Jakob Ruh. Er hatte schon als junger Mann seine Amter angetreten und regierte sehr autoritär fast vierzig Jahre lang. Ruh war ein geschickter Mann, der wußte, wie er seine Verhandlungspartner am wirksamsten beeinflussen konnte.

Keinesfalls wollte er einen deutschen Lehrer in Tovar. Er befürchtete, in seiner Amtsführung kontrolliert zu werden, wenn ein dem Gesandten unterstellter Lehrer seinen ständigen Wohnsitz in der Kolonie haben würde.

Wie erfolgreich Wilhelm Ruh die Entsendung eines deutschen Lehrers hintertreiben konnte, geht aus dem Schreiben des Gesandten von Rhomberg hervor, das dieser an den Reichskanzler Fürsten von Bülow richtete:

„ ... Der Bürgermeister wollte anfangs nicht mit der Sprache heraus. Er befürchtete anscheinend, sich dem Vorwurf der Undankbarkeit und der Preisgabe der deutschen Nationalität auszusetzen. Ich gab ihm zu erkennen, dass diese Vorwürfe nicht erhoben werden könnten. Niemand denke daran, der Gemeinde eine Wohltat aufzudrängen, die ihr verhängnisvoll werden könnte,' auch diene derjenige der Sache schlecht, der die etwa vorhandenen Schwierigkeiten übersehe. Darauf sprach ersieh offen aus:...In Tovar sei z.Zt. ein venezolanischer Lehrer, der den Bedürfnissen der Gemeinde genüge. Käme ein zweiter Lehrer, dann könnte ein Konflikt entstehen. Sie lebten in ihrer zwei Tagereisen im Innern gelegenen Gemeinde ruhig und zufrieden; die venezolanische Regierung mische sich nicht in ihre inneren Angelegenheiten. Dies könne sich aber ändern, wenn es Unzufriedenheit gäbe. Er meine daher, es wäre besser, zunächst von der Anstellung eines zweiten deutschen Lehrers abzusehen.“

Aufgrund dieses Briefes wurden alle Vorbereitungen, einen deutschen Lehrer nach Tovar zu entsenden, rückgängig gemacht, man schloss sich außerhalb Tovars der Meinung Wilhelm Ruhs an, dass es besser sei, vorerst von dem Vorhaben Abstand zu nehmen.

In Tovar gab es zu der Zeit noch eine kleine, deutschsprachige Privatschule. Diese wurde von Heinrich Ruh, dem Sohn eines Vetters von Wilhelm Ruh geleitet. Dieser war aber mit seiner Frau zu einer "Freien Evangelischen Kirche" übergetreten und somit rekrutierten sich die Schüler Heinrich Ruhs zumeist aus Familien, die dieser Sekte angehörten.

Der Nachfolger von Bodmanns war ein Freiherr von Prollius, der nicht so leichtgläubig war wie sein Vorgänger. Er befragte persönlich den venezolanischen Erziehungsminister, ob seitens des Ministeriums Bedenken gegen einen zusätzlichen deutschen Lehrer bestünden und erfuhr, dass von venezolanischer Seite weder jetzt noch früher dagegen Bedenken bestanden hätten. Mit aller Energie setzte er sich für den Bau eines Schulhauses ein, das von dem deutschen Ingenieur Eduarde Röhl in den Jahren 1916/17 mit Reichshilfe und privaten Spenden erbaut wurde.
Eine Entsendung eines badischen Lehrers konnte wegen des ersten Weltkrieges nicht stattfinden. Als ersten Schulmeister für das neue Haus konnte von Prollius jedoch den in Caracas ansässigen, aus dem Schwarzwald stammenden, Lehrer Egon Galler gewinnen, der sich mit den Siedlern sehr gut verstand. Leider verstarb er noch im Jahr 1917 an Gelbfieber.
Zu dieser Zeit amtierte als Pfarrer der Benediktinerpater Dobbert. Da sein Bruder Lehrer war, bat er diesen, in Tovar die Lehrerstelle zu übernehmen. Volle fünf Jahre erhielten die Kolonistenkinder nun wiederum Deutschunterricht. Aber als der Pater Dobbert nach Trinidad versetzt wurde, verließ leider auch sein Bruder die Kolonie. Von Prollius setzte daraufhin den Österreicher Clemens Brandner 1922 als Lehrer ein, der aber schon 1925 in Unfrieden mit Wilhelm Ruh die Kolonie verließ.

Die amtliche „Escuela Federal No 733“ übernahm im Jahr 1926 ein venezolanischer Lehrer; es war Eloy Madrid, ein Schwiegersohn Wilhelm Ruhs. Der in die Rolle eines Schwiegervaters gedrängte Bürgermeister war einerseits der angesehene Erbe des wohlhabend gewordenen Kaffeepflanzers Jakob Ruh und somit ein Vorbild der alemannischen kulturellen Eigenart, aber andererseits war er. auch Vater von zehn Töchtern, die ihm nicht immer folgten.

Nach den sehr strengen Heiratsnormen der Siedler wurde jeder verstoßen, der eine Venezolanerin oder einen Venezolaner heiratete. Nun geschah ausgerechnet im Hause von Wilhelm Ruh, dass sich seine Tochter Luisa in einen venezolanischen Schulmeister - eben diesen Eloy Madrid - verliebte und ihn auch ehelichte. Da sie unwiderruflich die Kolonie verlassen musste, ließ Wilhelm Ruh ihr kurz hinter der Dorfgrenze, auf dem Weg nach la Victoria, Haus und Hof errichten. Es ist somit nicht ganz unverständlich, dass Ruh entgegen den Wünschen der Siedler, die Entsendung eines Lehrers aus Baden hintertrieben hatte.

Da diese Entwicklung den Deutschen in Caracas und dem Gesandten des Reiches sehr missfiel, wurde in der Person eines in der Wirtschaftskrise aus Deutschland ausgewanderten Technikers Richard Aretz ein Ausweg gefunden.