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Die Grundsteinlegung der 1862 erbauten Kirche

Prof. Dr. Conrad Koch

Schon wenige Wochen nach ihrer Ankunft begannen die Auswanderer aus Baden mit dem Bau einer kleinen, rustikalen Kapelle. Die Holzbalken ihrer Wände wurden mit luftgetrockneten Lehmziegeln ausgefüllt und das Dach mit Palmenlaub gedeckt. Von ihr ist leider keine authentische Abbildung überliefert worden. Zwar zeigt das von dem Maler Bellermann 14 Monate nach Gründung der Kolonie in Öl gemalte Bild der Siedlung in zentraler Lage ein stattliches Kirchengebäude mit zwei Türmen, aber dies wird kaum der damaligen Realität entsprochen haben. Es ist eher der künstlerischen Freiheit, mit der Bellermann die Entwicklung Tovars vorausahnte, zuzuschreiben. (Das Titelbild des Heft 1 unserer Schriftenreihe zeigt die Reproduktion von Bellermanns Ölgemälde aus dem Jahr 1844).
Zwanzig Jahre nach dem Bestehen der Siedlung erbauten die Siedler eine kleine aus Stein mit Schindelabdeckung versehenen Kirche, in deren Fundament sie eine Urkunde einmauerten. Dieses Dokument hatte sehr gelitten, als ich es fast hundert Jahre später in den Händen halten konnte. Juanico Breidenbach hatte es mir gezeigt und auch geliehen, damit ich von dem fast unleserlichen, ausgeblichenem Papier mit der damaligen Technik ein fotografisches Kontaktnegativ herstellen konnte.
In den vergangenen Jahren habe ich es hin und wieder in die Hand genommen und ein jedesmal wieder die Ausstrahlung der ergreifenden Worte des in altdeutschen Lettern geschriebenen Textes gespürt. Er lautet:

Republik Venezuela
Wir zählen heute ein Tausend acht Hundert zwei und sechzig
den siebten März 1862

Zur Verherrlichung unseres Vaters + + + Jesus Christus als Erlöser mit seinen göttlichen Worten für die Nachwelt legen wir in tiefster Andacht diesen Grundstein, damit in weiteren Zeiten es nachgewiesen werden kann, wer hier in der deutschen Colonie Tovar gewohnt und diesen kleinen Tempel erbaut hat.
Inmitten eines furchtbaren Bürgerkrieges, welcher schon vier Jahre gedauert und bis jetzt noch nicht beendet ist, wurde dieses Werk dennoch bis zur Grundsteinlegung beendigt.
Die Anlegung dieses kleinen Tempels wurde auf Aufforderung des Inhabers Direktors Alexander Benitz zugleich Mitgründer dieser deutschen Ansiedlung Colonie Tovar veranlasst. Sämtliche Colonisten haben sich verpflichtet diesem Bau beizusteuern. Die ersten Arbeiten sind durch Mathias Eckert, Sebastian Futterer, und Jakob Ruh Maurermeister, obig Brunner aber als Zimmerleute angefangen.
Die Gründung der Colonie entstand im Jahr Tausend achthundert und ein und vierzig 1841. *) Durch Oberst Augustin Codazzi Don Ramon Diaz Alexander Benitz gebürtig aus Endingen Großherzogtum Baden Alemania.
Obige Don Ramon Diaz aus Venezuela und Augustin Codazzi aus Lugo (Italien).

Dieser „kleine Tempel“, wie die Erbauer ihn genannt hatten erfüllte mit seinen festen Fachwerkwänden und dem nun dichten Schindeldach die Bedürfnisse der Gemeinde für etwa dreißig Jahre. Leider ist von ihm keine Zeichnung oder Gemälde überliefert.
Im Jahr 1891 beschlossen die Tovarer eine Erneuerung ihres Gotteshauses, wiederum mit einem Schindeldach. Es wurde 1893 beendet und 1897 offiziell eingeweiht. Die Tovarer Bevölkerung war zu dieser Zeit auf etwa 400 Seelen angewachsen. Unser Titelbild zeigt die Lage der Kirche wie sie Dr. Alfredo Jahn 1895 aufgenommen hatte.
Zur gleichen Zeit etwa hat ein früher Tovarreisender, R. Schmidt, die nachstehende Zeichnung der Kirche mit ihren Sonntagsbesuchern angefertigt.

*) Die offizielle Gründung der Colonia Tovar fand mit der Wahl ihres ersten Gemeinderates am 24. 4. 1843 statt. Ich glaube aber nicht, dass das in der Urkunde genannte Gründungsjahr ein Irrtum war, eher werden die Siedler hier 1841 als Gründungsjahr angegeben haben, in dem der erste Endinger, Alexander Benitz, in Venezuela mit Codazzi und Ramon Diaz das Projekt der Siedlung für den Kongress erarbeitet hatte.
Bis dahin 1918 verfügte keine der bisherigen Kirchen Tovars über einen Glockenturm. Dieser wurde als ein fest mit der Kirche verbundenes Bauwerk erst in der Amtszeit des deutschen Pfarrers Paul Dobbert errichtet. Leider ist Pfarrer Dobbert 1922 von Tovar abberufen worden, worauf die Gemeinde über ein Jahrzehnt wieder keinen eigenen, deutsch sprechenden Pfarrer besaß. Die Sprache war vor allem für die weiblichen Kirchenbesucher von hoher Bedeutung, denn viele von ihnen waren noch 1953, als ich erstmals nach Tovar kam, wegen der damaligen Unzugänglichkeit ihres Dorfes des Spanischen nicht mächtig. - Pfarrer Karl Aretz, der 1935 das Pfarramt in Tovar übernahm und sein Bruder Richard Aretz, der seit 1929 als Deutschlehrer in Tovar war, entwarfen Pläne für einen Fachwerkkirchturm, der aber erst Jahrzehnte später gebaut wurde. Auch soll man damals bereits eine Erweiterung des Gotteshauses in Anlehnung an die aus zwei im rechten Winkel zueinander stehenden Schiffen erbaute Kirche in Freudenstadt erwogen haben.
Der Anbau eines Kirchenschiffes hat sich etwa zwei Jahrzehnte später wegen der Zunahme der Tovarer Bevölkerung auf etwa 1000 Seelen und wegen des verstärkt einsetzenden Touristenverkehrs als wünschenswert erwiesen.







Kehren wir jetzt zu dem Revolutionsjahr 1862 zurück, in dem die Badener Auswanderer den ersten Umbau ihrer Kirche beendet hatten.
Es war ein Freitag, an dem das obige Dokument in Tovar geschrieben und für die Nachwelt eingemauert wurde. Neben den in der Urkunde genannten Handwerkern „Brunner, Eckert, Futterer und Ruh“ befinden sich an ihrem linken Rand einige weitere, aber leider nur schwer lesbare Unterschriften. Ich werde versuchen, über diese Siedlerfamilien einige nähere Angaben zu machen und den folgenden Fragen nachzugehen:

Wer waren die in der Urkunde genannten Männer?Was ist aus ihnen geworden, und wie haben sich ihre Familien entwickelt?
In der Urkunde wurden folgende Handwerker genannt:

Brunner Joseph, * 1800. Der Zimmermann aus Waltershofen hatte die Seereise nach Venezuela als Alleinstehender angetreten. Er war einer der ältesten Handwerker, die am Bau der Kirche von 1862 mitgearbeitet hatten. Im Jahr 1845 weilte er noch in Tovar. Danach verliert sich zunächst seine Spur, denn in der Bevölkerungsaufstellung vom 31.10.1852 ist er nicht aufgeführt. Er taucht erst wieder 1862 in der Urkunde auf. Danach fehlen uns leider weitere Daten.

Eckert Mathias, * 1822. Als Maurermeister hatte er sich 1842 ledig der Auswanderergruppe angeschlossen. Er heiratete in den ersten Jahren nach der Ankunft die ebenfalls als Ledige emigrierte Emerencia Fischer aus Sasbach. Zur Zeit des Kirchenbaus war er Vater von zwei Töchtern. Im Zensus von 1893 wird die Familie nicht mehr genannt.

Futterer Sebastian, * 1799 in Forchheim, hatte sich als Schreiner mit seiner auch in Forchheim geborenen Frau Elisabeth Binz und vier Kindern zur Ausreise entschlossen. Obwohl auch noch ein Verwandter von Ihnen, der ledige Anton Futterer, mit 22 Jahren nach Tovar ging, taucht im Zensus von 1893 nur noch einmal der Name Futterer auf, nämlich die Tochter von Sebastian, Rosina Futterer, verheiratet mit Martin Müssle aus Wyhl.

Jakob Ruh, * 1815 Maurermeister aus Endingen, verheiratet mit Hilbert Rosina aus Oberalpfen, nahmen damals noch ohne Kinder an der Reise nach Venezuela teil.
Zur Zeit des Kirchenbaus gehörte Jakob, der sich frühzeitig dem Kaffeeanbau zugewandt hatte, zu den Familienvätern, denen aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs bereits ein gewisses Ansehen entgegengebracht wurde.

Am linken Rand des Dokumentes konnten die nachstehenden Namen entziffert, und über ihren familiären Status 1862 folgende Angaben gemacht werden:
Emil Breidenbach * 1839 in Erfurtshausen, traf 1851 mit einer zweiten Emigrantengruppe aus Hessen in Tovar ein. Er stand einige Jahre als Maultiertreiber im Dienst von Alexander Benitz. Nach dessen Tod heiratete er 1867 seine Witwe, Josepha Hildebrandt. Sie hatten vier Kinder.

Gregor Breidenbach * 1845 erlernte bei Robert Frey mit seinem Bruder Emil das Mühlenbauer-Handwerk. Er heiratete die 1845 in Tovar geborene Karolina Muttach. Sie zogen zehn Kinder groß, von denen sich sieben in Tovar verheirateten.

Anton Dürr und Lambert Dürr, beide Söhne von Marcus Dürr aus Wyhl und der Katharina Rentner aus Grafenhausen, unterschrieben die Grundsteinlegung noch als Ledige. Der jüngere Sohn Lambert verließ vor 1893 die Kolonie.
Anton Dürr heiratete 1867 Agathe Keller aus Wasenweiler. Im Zensus von 1893 ist Agathe Keller als Witwe mit ihren drei Kindern aufgeführt. Sie sind die Urahnen aller Dürrs, die heute in Tovar leben.

Robert Frey * 1817 in Endingen wurde von Alexander Benitz als lediger Mühlenbauer für die neue Siedlung angeworben. Er heiratete in Tovar die ledige Schwester von Jakob Ruh aus Endingen.

Karl Gerig * 1827 in Oberbergen kam mit seinen Eltern nach Tovar. Er heiratete die auch mit ihren Eltern ausgewanderte Genoveva Gebert aus Welschensteinach. Sie sind die Urahnen der zahlreichen heute in Tovar anzutreffenden Familien Gerig.

Crispin Kohler * 1820 in Jechtingen verließ 1843 mit seinen Eltern und weiteren sieben jüngeren Geschwistern Europa. Er heiratete die aus Ettenheim stammende Karolina Müller, mit der er fünf Kinder in Tovar aufzog.

Muttach Burghard, * 1818 in Ringsheim, schloß sich 1842 als lediger Schmied den Auswanderern in Endingen an. Er heiratete in Tovar Brigitte Lips aus Hugstetten. Sie sind die Urahnen aller Muttachs.

Simon Müssle/Hassler, * 1826 in Wyhl, trat mit 17 Jahren die Seereise an. Seine spätere Frau, Euphrosina Morand, kam als Baby nach Venezuela. Sie heirateten 1861 und hatten 12 Kinder, von denen zehn sich in Tovar verheirateten. Die Müssle/Hassler stellen heute eine der größten Sippen Tovars dar.

Wilhelm Rudmann, *1839 in Wasenweiler, nahm im Alter von dreizehn Jahren mit zwei Schwestern und seinen Eltern an der Segelschiffsreise der Auswanderer teil. Als einziger Sohn der Familie Rudmann gab er durch seine kinderreiche Ehe mit Barbara Guth aus Herbolzheim den Namen Rudmann in Tovar weiter.

Hermann Teufel war der Sohn des Lehrers Nicolaus Teufel, der zwei Jahre nach der Ankunft in Tovar Magdalena Kohler aus Jechtingen geheiratet hatte und wenige Jahre danach gestorben ist. Hermann war zur Grundsteinlegung 16 Jahre alt. Er heiratete 1883 eine Spanierin, mit der er sechs Kinder hatte. Zwei davon heirateten in Tovar.
Von den in der Urkunde genannten Handwerkern und von den Männern, die am linken Rand das Dokument unterschrieben haben, wissen wir, dass alle, außer dem jungen Sohn des Lehrers Teufel, noch Kindheitserinnerungen an ihre alte Heimat in Europa hatten. Aber sie haben auch nebst der stürmischen Überfahrt auf der „Clemence“ die große Enttäuschung ihrer Eltern miterlebt, als sie im heutigen Tal von Tovar, nicht wie versprochen, eine vorbereitete Siedlung mit Wegen und wenigstens einigen Häusern vorgefunden hatten. Sie blickten in ein von der Brandrodung geschwärztes Tal, in dem noch die größeren Baumstumpen vor sich hinqualmten.
Im Jahr 1964 hatte ich das Glück, mit dem damals 77jährigen Benjamin Gerig ein Gespräch über die Geschichte seiner Vorfahren führen zu können. Er war bei seinem Großvater, der mit 16 Jahren mit seinen Eltern nach Tovar gekommen war, aufgewachsen. Dieser starb erst, als Benjamin 28 Jahre alt war, und somit konnte mir der damals älteste Familienvater der Gerigs noch eine lebensnahe Schilderung über die Ankunft der Badener auf das Tonband sprechen:

Das ist ein puerto umeinand, Choroni, da sind sie ausgeladen, von dort sind sie nun her. In Maracay da ist ein Präsident gewesen, der General Paez, der hat sich ihrer angenommen und hat ihnen noch ein gutes Essen gegeben, aber sie haben ihn nicht verstanden und haben nicht schwatzen können. Von dort sind sie daher gekommen, bis daher, mit einem Bündel auf dem Kopf, mit dem was sie gebracht haben. Sie haben kein Stückle Vieh gehabt um es herzuführen. Wo die Weiber dort oben angekommen sind, wo selbiges Kreuz ist (auf die Stelle zeigend), wo sie das Loch gesehen hätten in dem Wald, da haben sie angefangen zu heulen, so traurig wie sie da gewesen sind, dass sie in diesem Wald müssen hocken. Da unten wo die Kapelle ist, da hat der Codazzi und der Alexander Benitz und die so ein Ranchele (Rancho) gemacht gehabt, so ein Häuschen mit Palmenlaub, und da hat er sie dreingesperrt. Da haben sie dann schaffen müssen gerade als wie Sclavos (Sklaven).

Sie hatten, um überleben zu können, trotz mangelhafter Unterkünfte und unzureichender, teils fremdartiger Ernährung, bei an Verzweiflung grenzenden Enttäuschungen harte körperliche Arbeiten zu leisten. Einige Mütter mit Kleinkindern hatten keine Milch mehr für ihre Säuglinge, Krankheiten nahmen zu, sowie auch frühe Todesfälle.
Im ersten Jahrzehnt hatten die Familienväter weder ihre Überfahrtsschulden noch die Investitionen bis zu den ersten Ernten zurückzahlen können. Die Sorgen, dass deshalb ihre wirtschaftliche Existenz ständig bedroht war, begleitete sie in all ihrer Not.
Sie hatten die Auflehnung einiger Siedlerfamilien gegen Benitz miterlebt, über die wir im letzten Heft ausführlicher berichteten. Als Coronel Codazzi die Betreuung seiner „Mustersiedlung“ aufgab und das Amt eines Gouverneurs im Estado Barinas antrat, nahm die Hoffnungslosigkeit in vielen Siedlerfamilien drastische Formen an. Tovar verlor durch Abwanderung in diesen Jahren fast die Hälfte seiner Einwohner. Zurück blieben in der Mehrzahl nur die kinderreichen Familien.
Erst die großherzige Schenkung des gesamten Tales 1852 an die Auswanderer durch Manuel Felipe de Tovar, für die Alexander Benitz die entscheidenden Vorarbeiten geleistet hatte, befreite sie von ihrer fast hoffnungslosen wirtschaftlichen Unsicherheit.
Aber bald brach neues Unheil über die Siedler herein, denn in Venezuela vollzogen sich wenige Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit schwere politische Auseinandersetzungen.
Bis 1810 hatten Land und Städte noch unter spanischer Herrschaft gestanden. Danach brach unter der Führung von Simon Bolivar die Revolution zur Befreiung von der Fremdherrschaft aus. Im Juli 1811 wurde zwar die Unabhängigkeit gegenüber Spanien ausgerufen, aber es bedurfte noch heftiger und auch wechselvoller Kämpfe, um sie verwirklichen zu können. Am bekanntesten wurde die siegreiche Schlacht von Carabobo 1821. Unter Einbeziehung von Quito, Neugranada und Caracas gründete Bolivar „Gran-Columbia“ als den „Großkolumbianischen Bund“.
Im Jahre 1830 ist Venezuela unter General Paez, der ein Gegner der Zentralgewalt Großkolumbiens war, erst wirklich selbstständig geworden. Dies war deshalb möglich, weil Paez durch sein mutiges und entscheidendes Eingreifen in der Schlacht von Carabobo sowohl in Militärkreisen, als auch in der alten, aus spanischer Zeit stammenden Oberschicht ein hohes Ansehen genoss. Der Befreier Simon Bolivar sah in dem hochverdienten General einen fähigen Präsidenten eines vom Großkolumbianischen Bund losgelösten Venezuelas. - Unter der Vorbereitung von Paez und anderer fortschrittlicher Patrioten wurde 1840 ein Einwanderungsgesetz erlassen, um nach dem Vorbild von U.S.A. zu versuchen, mit europäischen Einwanderern das riesige Territorium bevölkern zu können.
Als die Badener Auswanderer erst nach gut einem Jahrzehnt der Eigenständigkeit Venezuelas auf ihrem Weg nach Tovar durch die Garnisonsstadt Maracai zogen, hat Paez sie auf seine Hazienda eingeladen und ihnen zu Ehren einen Ochsen am Spieß braten lassen. Als er sah, mit welchen Lasten die Familien sich in der ungewohnten Hitze des Araguatales abschleppen mussten, ließ er durch seine eigenen Fuhrwerke die Familien mit Kleinkindern nach La Victoria transportieren.
Diese Fakten sind durch verschiedene zeitgenössische Berichte belegt. Ich fand es aber besonders interessant, dass der mit 16 Jahren eingewanderte Karl Gerig seinen Enkel Benjamin von der Gastfreundlichkeit von General Paez berichtet hat, sodass dieser sie mir noch 1964 mit folgenden Worten schildern konnte:

„.... In Maracai, da ist ein Präsident gewesen, der General Paez, der hat sich ihrer angenommen und hat ihnen noch ein gutes Essen gegeben, aber sie haben ihn nicht verstanden und haben nicht schwatzen können....“

Die wenige Jahre nach der Schenkung vermehrt einsetzenden politischen Unruhen und Kämpfe verhinderten es, dass die Tovarer in ihrer neuen Situation als Landeigentümer die Erfolge Ihrer Arbeit wenigstens im bescheidenem Rahmen genießen konnten.
Zwar wurde ihr Dorf nicht direkt angegriffen, aber die weit verstreuten Höfe an der Peripherie der Siedlung waren besonders an der Meerseite sehr gefährdet. Der erste Bürgermeister Tovars, Andreas Vollweider, hatte dort eine Hazienda bei Petaquiere erworben, einem kleinen Ort, der etwas nördlich zwischen Tovar und dem Junquito liegt. Er wurde überfallen und ist, als er sich gegen die Plünderer zur Wehr setzte, erschlagen worden.
Die Lage in Tovar wurde selbst von der Familie Benitz als recht bedenklich angesehen. Nur so ist es zu erklären, dass Alexander 1854 an seine Schwester Theresa in einem Brief um Rat fragte, ob Sie ihm und seinem Bruder Karl eine Einwanderung nach Nordamerika empfehlen würde. - Therese antwortete im April 1854:

„Liebe Geschwister, Ihr fragt mich ob ich Euch rathe hieher zu kommen? Warum sollt ich nicht mit einem Zehnfachen Ja antworten. Auch Henri und alle unsere Verwandten sind meiner Meinung....“

Karl Benitz reiste daraufhin nach St. Louis, um sich Land und Leute anzusehen. Er gab 14 Tage nach seiner Ankunft in einem Brief vom 18. Juli 1854 einen sehr negativen Bericht an seine Geschwister Lugarda und Alexander:

„....Liebe Geschwister, ich glaube wir tun besser wenn wir unseren Wohnsitz in Südamerika behalten als wie hier, ich sage Euch aufrichtig das es mir hier nicht gefällt den hier werden die Leute nur nach gelt geschätzt und nicht nach kenntnissen, die hiesege Nation ist noch weit schlechter und betrogener als die Venezolanische und dabei grob und keine Reson sei es Deutscher oder Amerikaner, hier in St. Luis gefalt es mir gar nicht weil das Klima zu ungesund ist es sterben wirklich Wochentlich 4 -500 Personen an der Kolera und Sonnenstiche, auch Pferde fallen auf den Straßen um und sind Tod, die Hitze ist wirklich nicht auszuhalten ....“

Aufgrund dieser Schilderung wurden Pläne, in die U.S.A. zu gehen, aufgegeben. Alexander reiste 1856 nach Baden und kehrte mit Josepha Hildebrandt aus Endingen nach Tovar zurück, wo sie 1859 heirateten.
Die, wie eingangs erwähnt, gleich nach der Ankunft in einfacher Holzkonstruktion mit Lehmwänden und Palmenlaubdach erstellte Kirche Tovars bedurfte fast nach 20 Jahren einer gründlichen Erneuerung. Nach seiner Rückkehr aus Europa beschloss Benitz mit den Sippenältesten ihre Renovation.
Wahrscheinlich wird Benitz den Anstoß zum Bau der neuen Kirche auch aus Sicherheitsgründen als Zufluchtsort gegeben haben, falls Tovar von marodierenden Truppen heimgesucht werden sollte.
Über die Auswirkungen der Bürgerkriegsunruhen in Tovar haben wir keine offiziellen Berichte. Von den wenigen Briefen, die damals von und in Tovar geschrieben wurden, sind nur einige aus der Korrespondenz der Familie Benitz erhalten geblieben.
Aus den ausgewählten Zitaten lässt sich nachempfinden, mit welchen Situationen die Tovarer in den Jahren der Grundsteinlegung und des Kirchenbaus sich auseinandersetzen mussten.
Der Bruder von Alexander, Karl Benitz hatte inzwischen seinen festen Wohnsitz nach Caracas verlegt, wohin sich hin und wieder Alexander wegen Abwicklung gemeinsamer Geschäfte begab. In Gefahrsituationen diente der Wohnsitz von Karl in Caracas sowohl Josepha als auch Alexander und Wilhelm Benitz oftmals wochenlang als Ausweichquartier, denn die Siedlung war weiterhin gefährdet.
Am 4. Mai 1860 schickte Wilhelm Benitz von Caracas in einem Brief folgende Nachricht an Alexander:

„Lieber Bruder!
Den Brief durch Fockenbruck erhielten wir und ersahen daraus, Ihr noch immer in
Angst und Schrecken lebt wegen diesen Hunden. Noch ist nichts vorbei ........sagt, dass Patron von Puerto La Cruz vertrieben wurde und hat zugleich 40 bis 50 Mann Negros von dort mitgenommen und wird wahrscheinlich wieder nach der Colonie kommen also könnt Ihr gut auf der Hut sein, man erwartet hier eine Revolution eine dritte Partei wir sind sehr begierig wie es ausgeht....“

Als Josepha, die normalerweise im Benitzhaus einen kleinen Gemischtwarenladen betrieb, sich im Jahr 1861 mit ihren zwei Kindern einige Wochen in Caracas aufhielt, schrieb sie am 30. Dezember an Alexander nach Tovar:





„Lieber theuerster Alexander!
Aus Ihrem werthen Schreiben sowohl, als auch von Mathis habe ich erfahren, dass unserm trostlosen Zustande noch kein Ende gegeben wird, und wir mit jedem neuen Jahre mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen haben und nach so vielem Kummer wir noch in so ungerechter Weise von unserem Eigenthum vertrieben werden. Sorgen Sie doch in Gottesnamen dafür, dass Sie nicht noch in die Hände dieser Elenden fallen, u. machen Sie, dass Sie von oben wegkommen. Wenn Emil wieder herunterkommt, so schicken Sie folgende Gegenstände, als: Die Sack- und Wanduhr, die silbernen Löffel die ich oben im Küchenkasten versteckt, die Gläser und Kaffeegeschirr u. was sonst noch im kleinen Kasten ist, ein Stück Bergal ist noch im großem Kasten, schlagen Sie den Kasten ab u. schicken ihn herunter ...... überhaupt was gut ist, die schönsten Bücher, Teppiche und Kissen was noch oben sind, der blaue wollene Teppich u. ein Kissen ist auf Wolfs Bett, die Betten der Kinder u. überhaupt was die Mühe werth ist, fortzuschicken ......“

Im Jahr der Grundsteinlegung, schreibt Bruder Karl in einem Brief nach Tovar:

„Liebe Geschwister
Euer Schreiben durch C. Guth haben wir erhalten wo du uns Schreibst das ihr immer noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen habt, was glaube ich unserer ganzen Familie auferlegt ist, welches Ihr in diesen inliegenden Briefe auch von derartigen lesen werdet, habt Geduld und Ausdauer es kann jeden Tag ändern, so wie man hört machen die Regierungstruppen überall sehr gute Fortschritte. Euer benachbarten werden wahrscheinlich in diesen Tagen von verschiedenen Seiten angegriffen werden, und die Spitzbuben von unten am Berg werden ihre Belohnung bekommen. .....“

Ganz so schnell, wie Karl Benitz die Wendung zu friedlicheren Zeiten hin erwartet hatte, ging es leider nicht. Im Dezember hatte Alexander seine Frau Josepha nach Caracas geschickt. Deren Ankunft meldete Bruder Karl am 13. Dezember 1862:

„Lieber Alexander! Josepha u. Kinder sind glücklich angekommen, sowie Emerencia und Fani, welche alle mit Freuden empfangen haben. ........ Lieber Bruder wir bedauern sehr die fatale Lage, solltest Du in Gefahr komen so lasse zum Teufel die Coloni gehen wo sie will und gehe dafon ......“

Josepha schreibt am 21. Dezember an ihren Mann:

„Lieber theuerster Alexander!
Ich hatte die beste Hoffnung, dass wir unseren Rückweg so schnell wie möglich antreten könnten, musste aber leider durch Ihr Schreiben sowohl, als auch von allen Colonisten, die hier waren, die traurige Nachricht erfahren, dass die Schelmenbande, von neuem ihr abscheuliches Wesen forttreibt. Kummervoll und trostlos sitze ich nun hier, ohne zu wissen, was das Gesindel uns wieder Schaden angerichtet hat, und wie Sie mit denselben fertig geworden sind......“

Alexander Benitz flüchtete daraufhin selbst nach Caracas, bis es um die Mitte des Jahres 1863 ruhiger wurde und er mit Frau und Kindern wieder in die Colonie zurückkehrte.
In den folgenden Monaten versuchte Benitz bei der Regierung in Caracas seine Revolutionsschäden und die aller Colonisten zu reklamieren. Geschäftlich plante und baute er mit seinem Bruder und Zimmerleuten der Kolonie Wassermühlen auf den umliegenden Hazienden.
Aus den noch erhaltenen Briefdokumenten geht hervor, dass Alexander in diesen Monaten keine direkte Gefahr mehr für Tovar sah.
Im darauffolgendem Jahr, 1864 erfolgte dann tatsächlich die entscheidende Umbildung des Einheitsstaates in eine Bundesrepublik, in die „Estados Unidos de Venezuela“.
Leider mussten danach die Badener Auswanderer und ihre in Tovar aufgewachsenen Kinder schon ein Jahr später erleben, dass ihr Endinger Alexander Benitz, der sie 1842 angeworben hatte, der sich über zwei Jahrzehnte unentwegt für sie eingesetzt hatte, und der sich mit Erfolg bei Manuel Felipe de Tovar für die Schenkung des Tales an die Siedlerfamilien verwandt hat, dass dieser Mann mit 52 Jahren nach einem Sturz von seinem Pferd und kurzer anschliessender Krankheit verstarb. Die Familienväter wählten aus ihrer Mitte den Endinger Robert Frey zum Nachfolger und handelten weiter nach den Worten ihres verstorbenen Kolonieleiters Benitz: „Es handelt sich nehmlich darum, die Civilisation, und mit ihr alle Wohltaten des Gewerbefleißes in jenes Land zu übertragen....“
Trotz aller Enttäuschungen und aller harten Schicksalsschläge, die über die Familien in ihrem weitabgelegenem und unzugänglichem Urwaldtal hereinbrachen, verzweifelten die Tovarer nicht. Sie waren gottesfürchtige, fleißige Menschen, sie schöpften Kraft aus ihren Familien und immer wieder neue Hoffnung aus ihrem festen Glauben.

Sie bauten „inmitten eines furchtbaren Bürgerkrieges „ihr kleines Gotteshaus und legten“ in tiefer Andacht diesen Grundstein, damit in weiteren Zeiten es nachgewiesen werden kann, wer hier in der deutschen Colonie Tovar gewohnt und diesen kleinen Tempel gebaut hat.“