FASNET IN TOVAR
"Jokili, jo, jo ..." in den Tropen
Angesprochen auf Fasnachtsbräuche und den „Jokili“, kam im Dialekt der Alten spontan: „Jokili, Jokili, jo, jo, het dr Stäggä stoh loh...“ und weiter:
„Jokili wu bisch geschtert gsi? [565 KB]
hinterem Hüs im Gärtli –
was het’s aü no bii-dr glo
ä rächtä Scheiß in d’ Hosä“.
Während der Anfang des Tovarer „Jokili-Sprichlis“ gleich dem in Endingen überlieferten, das jedes Kind kennt, war diese weitere Strophe in der „alten Heimat“, am Kaiserstuhl, nicht mehr bekannt. Ebenso die folgende: „Jokili mit em Bärtli - isch ä altä Lumpä, - süfft dr Wii vu anderä - üs em großä Humpä.“
Das kleine "Venezuela-Jokili" Paula Frey Muttach
So haben die Endinger zwei Ur-„Gsätzli“ des alten Jokili-Spruches nach mehr als 130 Jahren wieder „zurückbekommen“. Es blieb lebendig in dem rund 10.000 Kilometer entfernten Land am Äquator - im tropischen Regenwald der Küstenkordillere Venezuelas.
"Gitzig, gitzig - dia Wildä - un 's Stadttier"
Vom „Heischen“ als Kinderbrauch zur Fasnachtszeit und vom Verkleiden erzählten die älteren Tovarer. Si hän als „gizig... g’ruafä zum ebis heische – Eier, Brot...“ berichtete Emilia Gerig de Strubinger: „Di gresera Buawa hän sich verkleidet mit Ziigs vum Wald, wu uf dr Baim wachst. Si hän’s uf alti Kittel gmacht – un d’ Gsichter dräckig - un gmacht we di Wildä – dia Wildä hämmer ’nä gsait“...ein Brauch, der bis heute in der „Tovarer Fasnet“ erhalten blieb.
Üppige graue Baumflechten, wie sie im Urwald um Tovar meterlang an den Bäumen hängen, werden auf durchgehende Anzüge aufgebracht. Übrigens durchaus vergleichbar mit den „Wilden“ in der Fastnacht von Telfs / Tirol und den sagenumwobenen „Wildleuten“ des Mittelalters, wie sie schon für den Nürnberger Schembartlauf (15. Jh.) belegt sind. Die „dräckigä“ Gesichter der „Wildä“ in der Fastnacht Tovars wurden jedoch in der jüngeren Zeit durch Affen-Masken ersetzt. Die Gruppe heißt heute „los Gorilas de Tovar“.
"Di Wildä" Tovar / Venezuela
"Wilde" in Telfs / Tirol
Bei Erzählungen kam die Rede auch aufs „Stadttier“, in der Endinger Fasnet eine alte, den Umzügen ungestüm voraus rennende, traditionelle Einzelfigur aus dem reichen, örtlichen Sagenschatz. „Stadttier sagä mir dr Jungä, dr elterä Buawä – wänn si grob sin.“ Bemerkenswert, dass die Sagengestalt aus dem Kaiserstuhlstädtchen auf diese Weise in der Alltagssprache der Tovarer lebendig blieb.
Alemannische Fasnet unweit der Karibik-Küste
Unten die Karibik – oben Fasnet und Jokili. Rund eineinhalb Stunden per „Jeep-Karrä“ ist die Karibikküste von der Colonia Tovar entfernt. Der teils unbefestigte Weg führt durch steile Berghänge und dichten Urwald vorbei an Obst- und Kaffeeplantagen, wo neben unzähligen, verschiedenen Vogelarten, Affen, Wildkatzen und Schlangen beheimatet sind. Außer letzteren sorgen diese für ein permanentes tropisches Waldkonzert.
Die Karibik-Bucht Puerto Cruz nahe der Kaiserstühler Siedlung Tovar
„Puerto Maya“, „Puerto Cruz“ oder „Chichereviche“ heißen die kleinen Orte am Meer, angesiedelt an Ufern am Ende fjordartiger Buchten. Dort leben überwiegend die Nachfahren schwarzafrikanischer Emigranten, nahezu unberührt vom Tourismus.
An einem solchen Ort waren die Kaiserstühler im März des Jahres 1843 nach ihrer Atlantiküberquerung mit dem französischen Segelschiff „Clemence“ angekommen.
Permanente Hitze und eine hohe Luftfeuchtigkeit machen uns Mitteleuropäern gegenwärtig, dass man sich in den Tropen befindet. Den permanent vorhandenen Durst stillt man auch mit dem Saft der Kokosnuss, die einheimische Kletterkünstler unter den Blättern der hohen Palmen hinter dem Sandstrand ernten.
Umzug der Tovarer Jokili am Fasnetsunntig Colonia Tovar
Eigentlich kaum zu glauben: Keine dreißig Kilometer Luftlinie entfernt - alljährlich in der Zeit des „Carnaval“: Jokili mit Holzlarven, der dreizipfligen Kappe, weißer Rüsche dem roten Jokiligewand, roten Jokilischuhen mit Horn und - „so we sich’s ghert“, selbstverständlich mit weißen Handschuhen und „Soibloderä“ am Stecken. Da kommt man unter der Larve schon ins schwitzen.
Doch Tovar liegt auf 1.600 bis 1.800 m Meereshöhe. Da ist es schon viel angenehmer als unten „an dr Playa“.
Begeisterung fürs „Jokilis machen“
Rund 120 Jokili, Erwachsene und Kinder, laufen zur Fasnet in Tovar. Das Jokilikleid ist leicht abgewandelt gegenüber dem Endinger Original. Zur Hauptfarbe rot tragen die Tovarer Jokili noch Zipfel in blau und gelb, denn gelb-blau-rot sind die Farben Venezuelas. Mit „Narri-Narro - d’ Tovarer Jokili sin do“ geht’s im Umzug durch die Kolonie zusammen mit anderen Fasnachtsgruppen und Umzugswagen. Auch das „Stadttier“ und „di Wildä“,die „Gorilas“, sind dabei. Mehrere Tausend Besucher zählt Tovar zur Fastnachtszeit, denn „los Jokili son la principal atracción de los carnavales de la Colonia Tovar“ berichtet dort die lokale Presse.
Nach dem Umzug geht es von Gasthaus zu Gasthaus, wo die Jokili gern bewirtet werden. Stärkung ist durchaus angebracht, denn Tovar ist ein Bergdorf in dem die Straßen ordentliche Steigungen aufweisen.
Begeistert sind Alt und Jung. Die „Jungen“ in Tovar sind damit aufgewachsen und die heute „Alten“: ...haben 1976 mit Begeisterung begonnen, dem alten über Generationen bewahrten Endinger Jokili-Spruch zur Fasnet auch das Jokili-Kleid hinzuzufügen, wie man es in der Heimat der Vorfahren seit jeher trägt. Der erste Funke für’s „Jokilis mache“ erzeugte Begeisterung in Tovar. Die „Jokiligruppe“ baute sich ein eigenes „Jokiliheim“ für Versammlungen und Festlichkeiten und die Freude am „Jokilis mache“ führte im Jahr 1982 ein Dutzend Tovarer Jokili zu einer Reise nach Endingen um am Narrentag anlässlich 200 Jahre „Jokili’s Heimkehr“ dabei zu sein. Das gemeinsame Erlebnis der Fasnet in Endingen ließ die Faszination für die Fasnet in der südamerikanischen Kolonie noch wachsen und führte zu abgewandelten, eigenständigen Brauchformen bei der Fasnetseröffnung und beim Abschied vom Jokili am Fasnetzischtig.
Die Tovarer Jokili
Das „Jokilis machen“ erfreut sich anhaltender Beliebtheit in der Colonia Tovar. Zur nächsten Fasnet 2007 hat Pablo Dürr, der Jokililarven-Schnitzer in Tovar und frühere „Oberjokili“, reichlich Bestellungen. Denn „los Jokili“ kommen zum 28. Januar 2007 erneut in die alte Heimat ihrer Vorfahren, nach Endingen, um mit den Endinger Jokili ein zünftiges Narrenfest zu feiern. Der Anlass: 225 Jahre „Jokili’s Heimkehr“ - das Endinger Fasnetspiel von 1782.
1782: 60 Jahre danach wanderten die „Tovarer“ aus - die unsere Großeltern - nach der venezolanischen Hauptstadt Caracas - „d’ Caracässler“ nannten. 165 Jahre nach der Auswanderung werden die südamerikanischen Jokili zu Besuch nach Endingen kommen und sich auf dem historischen Endinger Marktplatz zeigen wo sich die Auswanderer von 1842 vor ihrer Abreise versammelten und wo zu vorderösterreichischer Zeit von der „Endinger Fasnetszunft“ 1782 das besagte Fasnetspiel aufgeführt wurde.
April 2006 Dr. Franz-Josef Vollherbst